Freie Radikale und einsame Elektronen
Freie Radikale werden immer öfter in Zusammenhang mit der Entstehung verschiedener Krankheiten, vor allem Arteriosklerose und Krebs, erwähnt. Im gleichen Zusammenhang wird auch von sogenannten Radikalfängern gesprochen, die vor den negativen Auswirkungen der freien Radikale schützen. In der Regenbogenpresse werden die Begriffe ebenfalls schon lange ohne nähere Erklärung verwendet. Der sich durch das Wort "radikal" ergebende politische Bezug macht es darüber hinaus der Pharmaindustrie offenbar leicht, Präparate mit dem Attribut "Radikalfänger" zu verkaufen. Bleibt die Frage, was nun eigentlich freie Radikale sind...
Def.: Freie Radikale
Freie Radikale sind Atome oder Moleküle, die ein oder mehrere ungepaarte (freie) Elektronen besitzen. Ein ungepaartes oder auch "einsames" Elektron belegt dabei ein Orbital allein. Sauerstoffradikalen, die definitionsgemäß Radikale des Sauerstoffs darstellen, gilt ein besonderes Interesse, da sie im menschlichen Körper ganz natürlich während der Energieerzeugung aber auch durch äußere Einflüsse entstehen. Sauerstoffradikale sind z.B.:

    Sauerstoffradikale sind z.B.:

    Superoxidanionradikal (O2°-)
    Perhydroxylradikal (HOO°)
    Wasserstoffperoxid (H2O2)
    Hydroxylradikal (HO°)
    Aloxylradikal (RO°)
    Peroxylradikal (ROO°)
    Hydroperoxyd (ROOH)

Warum sind Sauerstoffradikale gefährlich?
Sauerstoffradikale oder auch reaktive Sauerstofformen schädigen eine Vielzahl zellulärer Verbindungen. Da einsame Elektronen danach streben, ein Elektronenpaar zu bilden, sind freie Radikale besonders reaktionsfreudig. Die Reaktionsfreudigkeit läßt sich dabei direkt an der Halbwertzeit des Radikals ablesen: Je kleiner diese ist, desto reaktionsfreudiger ist das Radikal.
Die folgende Tabelle gibt hierzu einen kleinen Überblick:

Hydroxylradikal (HO° )
10-9 sek
Singulettsauerstoff (O2)
10 sek
Alkoxylradikal (RO°)
10-6 sek
Peroxylradikal (ROO°)
7 sek
Nitritoxiradikal (NO°)
1 - 10 sek

Aus Sies, Stahl (Am.J.Clin.Nutr.62 Suppl (1995) 1314-1317)

Von besonderer Bedeutung dabei sind mögliche Schädigungen der Basen von Nucleinsäuren (v.a. Thymin und Guanin), die letztendlich die Veränderung der Chromosomen und damit des Erbgutes nach sich ziehen können. Auch Proteine werden durch freie Radikale angegriffen. Werden veränderte Proteine z.B. in Enzyme eingebaut, kann deren Aktivität drastisch reduziert werden. Während Kohlenhydratverbindungen kaum durch Sauerstoffradikale geschädigt werden, treten bei Lipiden große Schädigungen auf. Da Lipide ein Hauptbestandteil von Membranen (z.B. Zellmembranen) sind, können hier ganz empfindliche Störungen der Membraneigenschaften hervorgerufen werden. Besonders anfällig für eine Schädigung durch Sauerstoffradikale sind ungesättigte Fettsäuren.

Diese werden besonders bevorzugt, da die Doppelbindungen die benachbarten CH-Bindungen schwächen. Durch den Angriff des Sauerstoffradikals kommt es bei Fettsäuren zur Bildung von Peroxiden. Dieser Angriff kann, je nachdem, ob das Sauerstoffradikal an der Doppelbindung oder an der Alkylgruppe angreift, unterschiedlich aussehen. Starten Sie hierzu die Animation!
Animation
Angriff an der Alkylgruppe
Angriff an der Doppelbindung
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Für einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Arteriosklerose und der Lipidperoxidation spricht die in vitro beobachtete Oxidation von LDL (s.a. Artikel zum Cholesterin).

    Oxidiertes LDL kann nicht mehr an die für es vorgesehenen Rezeptoren binden und zeigt daraufhin ausgeprägte zytotoxische Wirkungen. Es kommt es zu einer vermehrten Umwandlung von Monocyten in Makrophagen, die mittels eines speziellen Rezeptors (des Scavenger-Rezeptors) oxidiertes LDL binden können. Da dieser Rezeptor nicht (wie beim normalen LDL-Rezeptor) durch einen hohen intrazellulären Cholesterinspiegel gehemmt wird, kommt es zu einer Anhäufung des Cholesterins in den Makrophagen, die sich daraufhin zu sogenannten Schaumzellen umbilden. Die Schaumzellen begünstigen wiederum Bindegewebseinlagerungen, die zur Ausbildung arteriosklerotischer Plaques führen.

Oxidativer Streß
Da, wie oben schon erwähnt, die reaktiven Sauerstoffverbindungen auch beim ganz normalen Stoffwechselgeschehen (bei der unvollständigen Reduzierung des Sauerstoffs zu Wasser) entstehen, war in der Evolution des Menschen die Ausbildung von Schutzmechanismen notwendig. Normalerweise liegt zwischen oxidativen und reduktiven Prozessen ein Gleichgewicht vor. Überwiegen jedoch die oxidativen Reaktionen, spricht man vom "oxidativen Streß". Ursache für oxidativen Streß können folgende Faktoren sein:
  • Nikotin
  • Alkohol
  • Ionisierende Strahlung (Fernseher, Computerbildschirm, Handy, UV-Strahlung)
  • Ozon
  • Smog
  • Einseitige (vitaminarme) Ernährung, reich an tierischen Fetten.

Entgiftungsmechanismen des Körpers
Unterschieden werden können dabei Schutzmechanismen auf enzymatischer und auf nichtenzymatischer Basis.
  • Beispiele nichtenzymatischer Antioxidantien
  • Vitamin E
  • Vitamin C
  • Beta-Carotin
  • Sekundäre Pflanzenstoffe (z.B. Flavonoide, Polyphenole)

Vitamin E schützt Lipide im wesentlichen dadurch, daß es die radikalische Kettenreaktion abbricht. Es spendet den Radikalen ein Elektron, wird selbst zum Radikal, reagiert aber nicht weiter. Vitamin C regeneriert "verbrauchtes" Vitamin E, während der Mechanismus der antioxidativen Wirkung von Beta-Carotin noch nicht gänzlich geklärt ist. Flavonoide (besonders Catechin, Epicatechin, Quercetin und Resveratrol) verhindern den oxidativen Abbau von Vitamin E.

  • Beispiele enzymatischer Antioxidantien
  • Glutathionperoxidase
  • Superoxiddismutase
  • Hydroxyperoxidase

Die Glutathionperoxidase (als wichtigstes Antioxidanz) reduziert Sauerstoff- und Lipidperoxide. Glutathion ist ein Tripeptid (Glycin, Cystein, Glutamt). Die Glutathionperoxidase enthält als weiteren wichtigen Baustein noch Selen. Die Glutathionperoxidase kann durch die Glutathionreductase regeneriert werden.

Ernährungsempfehlungen
Der gesunde Erwachsene, der keinem besonderen oxidativen Streß ausgesetzt ist, benötigt keine spezielle Radikaldiät oder gar Tabletten. Werden die folgenden Ernährungsempfehlungen (der DGE) eingehalten, besteht keine Gefahr:

Täglicher Verzehr von ca. 200/250 g Gemüse und ca. 75 g Rohkost (günstig sind, wegen des hohen Gehalt an Carotinoiden, dunkelgrüne und orangefarbene Gemüsesorten). Dabei sollte vorwiegend Gemüse und Obst der Saison, das reif geerntet worden ist, gegessen werden. (Höherer Gehalt sekundärer Pflanzenstoffe). Regelmäßiger Verzehr von Obst (ca. 200/250 g am Tag). Da Öle mit einem hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren besonders anfällig für die Bildung von Peroxiden sind, diese nicht vermehrt verzehren und nicht überlagern! Solche auswählen, die einen hohen Anteil Vitamin E (Sonnenblumenöl, Weizenkeimöl, Olivenöl) besitzen.


 
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