Appetitzügler und Fettblocker
15-20% der Menschen in Europa sind definitionsgemäß adipös (fettleibig). Da Diäten oft fehlschlagen, wird immer häufiger, wenn auch oft nur unterstützend, zu Appetithemmern gegriffen. "Herzprobleme durch die Einnahme von Appetitzüglern!" So oder ähnlich erscheinen vor einiger Zeit vermehrt Warnmeldungen in der Presse. Auslöser ist eine Studie aus Rochester (Minnesota), deren Ergebnisse im New England Journal of Medicine (Bd.337, S. 581, 1997) veröffentlicht worden sind. Auch in Deutschland wurden im September ´97 auf Grund dieser Ergebnisse zwei Präparate vom Markt genommen. Grund genug sich einmal kritisch mit den Vor- und Nachteilen von Appetitzüglern auseinanderzusetzen.
Allgemeines
Streng genommen haben Appetitzügler und Fettblocker eigentlich nichts miteinander zu tun, außer daß beide für Übergewichtige gedacht sind. Denoch werden Sie hier zusammen erwähnt, weil beide als "Pille gegen das Übel" verstanden werden können. Chemisch lassen sich die bisher auf dem Markt befindlichen Appetitzügler in zwei Gruppen unterteilen: 1. Amphetaminderivate,
2. Serotoninerge Substanzen.
Beide Substanzgruppen wirken am zentralen Nervensystem.

In der Gruppe der sogenannten Fettblocker, die direkt vor Ort, also im Magen-Darm-Trakt wirken, ist bisher erst eine Substanz soweit getestet, daß sie in Deutschland kurz vor ihrer Zulassung steht. Es handelt sich um den Wirkstoff Orlisat.

    [Übrigens: Extacy war ürsprünglich auch als Appetithemmer gedacht, wurde dann aber wegen der Nebenwirkungen nicht mehr in Betracht gezogen.]
Amphetaminderivate
Amphetaminderivate wurden besonders in den sechziger Jahren vermehrt zur Hemmung des Appetits eingesetzt.
Amphetamine haben am Gehirn, neben der appetithemmenden Wirkung, auch eine das zentrale Nervensystem (ZNS) stimulierende Komponente. Daher führt längerer Gebrauch zu schweren Suchtformen, die durch starke psychische Abhängigkeit gekennzeichnet sind. Die Auswirkungen gleichen denen, die beim Mißbrauch von Kokain auftreten.

Die Amine (der Amphetamine) können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und verursachen eine Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin (beides sogenannte Streßhormone, die ausgeschüttet werden, wenn der Körper schnell reagieren muß). Diese Ausschüttung verursacht neben der Appetithemmung: Euphorie, erhöhte Aktivität, gesteigerte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, motorische Unruhe, Anstieg des Blutdrucks, gesteigerte Erregbarkeit, bis hin zu Angst- und Spannungszuständen.

Durch die Synthese von Derivaten hatte man gehofft, Appetitzügler ohne diese Suchtkomponenten zu erhalten. Allerdings stellten sich bei nahezu allen Substanzen eben genau die obigen Suchtphänomene ein. Mit der Zeit verschwanden daher so gut wie alle Derivate wieder vom Markt. In den USA, Österreich und der Schweiz sind jedoch noch einige Derivate im Handel. Ob dies jedoch noch länger der Fall sein wird, erscheint fraglich, denn der Wirkstoff Phentermin ist Bestandteil des in den USA vertriebenen Appetithemmers "Fen-Phen", der als Gegenstand der oben erwähnten Studie dafür verantwortlich gemacht wird, daß es bei einigen Probanden zu Herzklappenveränderungen kam. In Deutschland ist Phentermin bereits seit Anfang der siebziger Jahre nicht mehr zugelassen.

Serotoninerge Substanzen
Aus dieser Gruppe sind vor allem zwei Substanzen von Bedeutung: Fenfluramin und Dexfenfluramin. Beide Stoffe wirken über die Veränderung des Botenstoffes Serotonin auf das Sättigungszentrum im Gehirn. Eine geringere Nahrungsaufnahme, besonders von Kohlenhydraten, ist die Folge.
    Serotonin wird im Normalfall vermehrt nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit im Blut gefunden. Den Mechanismus stellt man sich wie folgt vor:
    Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit wird vermehrt Insulin ausgeschüttet, um die Kohlenhydrate zu verstoffwechseln. Insulin fördert aber auch den Einbau der verzweigtkettigen Aminosäuren in die Muskulatur. Dadurch erhöht sich wiederum der Blutspiegel der (nicht-verzeigtkettigen) Aminosäure Tryptophan. Diese wird im Gehirn zur Serotoninsynthese herangezogen. Da alle Aminosäuren um das gleiche Transportsystem konkurrieren, hat Tryptophan in diesem Fall also "freie Fahrt" und kann verstärkt zur Serotonsysnthese herangezogen werden.
    Der so erhöhte Serotoninspiegel scheint nun dem Gehirn auf noch ungeklärte Weise mitzuteilen, weniger Kohlenhydrate aufzunehmen, damit nicht noch mehr Serotonin produziert wird (Produkthemmung).
Als Wirkungsmechanismus der Appetitzügler ist neben der Appetitminderung auch noch eine den Grundumsatz erhöhende Wirkung denkbar: So ist es möglich, daß die Medikamente den Stoffwechsel der peripheren Gewebe steigern.

Stimulierende Effekte fehlen bei beiden Wirkstoffen. Damit scheint auch die Suchtgefahr gering zu sein. Die höchste appetithemmende Wirkung der Wirkstoffe ist ca. 2-4 Stunden nach der Einnahme zu verzeichnen. Die Halbwertzeit beträgt ca. 20 Std., kann aber, bei entsprechendem ph-Wert, auf 11 Std. zurückgehen.
Das Problem, das sich aber bei beiden Wirkstoffen (wie im übrigen auch bei den Amphetaminen) ergibt, ist die schnell nachlassende Wirkung (Tachyphylaxie)! So ist der Gewichtsverlust nur in den ersten Wochen sehr hoch, läßt dann jedoch nach, so daß eine Langzeittherapie schon aus diesem Grund nicht sinnvoll ist. In einer Studie an 400 Patienten erhielt eine Gruppe neben der kalorienreduzierten Diät Dexfenfluramin, die andere Gruppe ein Placebo. Nach 6 Monaten betrug der Gewichtsverlust der Placebogruppe 8%, der der Dexfenfluramingruppe 10,3% (signifikant höher!). Bis zum 12 Monat blieben allerdings beide Gruppen auf diesem Niveau. Der absolute durchschnittliche Gewichtsverlust betrug 7,15 kg zu 9,82 kg. Ein Ergebnis, das den dauerhaften Einsatz eines Medikamentes als nicht gerechtfertigt erscheinen läßt.

Was hat es mit den Vorwürfen auf sich, Appetitzügler würden das Herz schädigen?
In der o.g. amerikanischen Studie kam es durch die Einnahme des Kombinationspräparates mit den Wirkstoffen Fenfluramin und Phentermin tatsächlich bei einigen Menschen zur Verengung der Lungengefäße mit Ausbildung eines Bluthochdrucks in der Lunge (pulmonare Hypertension). Dieser Hochdruck führt zur Schwächung des rechten Herzmuskels, im ungünstigsten Fall sogar zum Tode. Als Grund für die Häufung dieses Phänomens vermuten die Ärzte den medikamentenbedingt höheren Serotoninspiegel im Blut.
Auch in Deutschland hat man nun auf die Ergebnisse der Studie reagiert: Seit dem 16.9.´97 sind die zwei in Deutschland zugelassenen Medikamente, die Fenfluramin bzw. Dexfenfluramin enthalten, vom Markt genommen worden. Es handelt sich hierbei um die Präparate mit dem Namen "Ponderax" (Fenfluramin) und "Isomeride" (Dexfenfluramin). Fenfluramin war in Deutschland über 35 Jahre auf dem Markt, Dexfenfluramin seit 12 Jahren.

Untersuchungen, die einen negativen Einfluß der Appetitzügler auf den Serotoninstoffwechsel vermuten lassen, hat es schon in früheren Jahren gegeben. So wurde an Affen bereits nach 4tägiger Behandlung mit Dexfenfluramin, neben der Entleerung der Serotoninspeicher im Gehirn, zusätzlich noch eine Schädigung der serotoninenthaltenden Neuronen festgestellt.

Fettblocker
"Orlisat" war der erste in Deutschland zugelassene Wirkstoff, der unter die Kategorie Fettblocker fällt. Der Wirkstoff ist bekannter unter seinem Firmennamen "Xenical". Fettblocker gehören nicht zu den Appetitzüglern, denn sie haben einen anderen Wirkungsmechanismus. Sie setzen nicht im Gehirn sondern bei der Verdauung an und hemmen bzw. blockieren das fettspaltende Enzym, die Lipase. Dadurch wird etwa ein Drittel des mit der Nahrung aufgenommenen Fettes unverdaut wieder ausgeschieden.

Die Folgen einer unkontrollierten Einnahme sind jedoch nicht ganz unproblematisch: Wer meint, jetzt erst recht dem Fett fröhnen zu können und nur die "Pille danach" nehmen zu müssen, wird sich bald auf der Toilette wiederfinden und über Bauchschmerzen und Blähungen klagen, die ihm das unverdaute Fett bereiten. Ganz zu schweigen von den viel zu weichen Fettstühlen.
Auch hier gilt: Eine Umstellung der Ernährung mit der bewußten Einschränkung des Fettverzehrs ist die Vorraussetzung für eine dauerhafte Gewichtsreduktion.
Ein Vorteil der Fettblocker scheint jedoch der positive Effekt zu sein, den sie auf den Lipidspiegel haben.

Resümee
Ganz entscheidend bei der Frage nach dem Sinn und Unsinn von Appetithemmern und Fettblockern ist die Tatsache, daß diese Art von Medikamenten auf gar keinen Fall ohne Reduktionsdiät und entsprechender langfristiger Veränderung der Ernährungsgewohnheiten Erfolge zeigt. Die Vorstellung, einfach eine Weile lang Pillen zu schlucken, um dann die Traumfigur zu haben, ist schlicht falsch! Vergleicht man die tatsächliche Gewichtsabnahme mit und ohne medikamentöse Unterstützung, erscheint es umso fraglicher, ob man sich den nachgewiesenermaßen vorhandenen Risiken einer Herzschädigung aussetzen sollte, nur um etwas mehr abnehmen zu können. Ganz abgesehen von der eher problematischen Einstellung, mit Medikamenten alles in den Griff bekommen zu wollen. Wann also machen nun Appetitzügler Sinn? Im Prinzip nur zur kurzzeitigen, einleitenden Unterstützung einer Reduktionsdiät, oder in den Fällen, bei denen Menschen eine schnelle Gewichtsreduktion als Motivationsschub benötigen, um zu sehen, daß es sich lohnt abzunehmen. Wobei auch hier natürlich die Gefahr besteht, den Tabletten den Vorrang vor der Diät zu geben.
   Appetitzügler und Fettblocker:
 
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