Was bringt die Novel-Food-Verordnung ?
1. Die Entstehung
Mit Einzug der Anwendung biochemischer, biotechnischer und gentechnischer Verfahren in die Lebensmittelherstellung wurde auch rechtliche Regelungen über das Inverkehrbringen (Unbedenklichkeit, Verhinderung von Irreführung, Vermeidung von Ernährungsmängeln) solcher "neuen Lebensmittel" notwendig. Bisher oblag das den einzelnen Staaten selbst. Im Zuge des freien Handels in der EG wurde aber eine EG-weite Regelung nötig. In der Regelung geht es nicht um die Unbedenklichkeit gentechnisch veränderter Organismen. Die Feststellung der ökologischen Unbedenklichkeit muß bereits im vorhinein erfolgen und wird über die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EG geregelt.

Mit der Planung einer Verordnung, die das Inverkehrbringen der "neuen Lebensmittel" regelt, wurde bereits 1992 begonnen. Im Oktober 1995 fand man einen gemeinsamen Standpunkt, der aber u.a. von Deutschland abgelehnt wurde. Grund war insbesondere die unzureichende Kennzeichnungsverordnung. Nachdem einige Änderungsvorschläge eingebracht wurden, mußte ein Kompromiß herbeigeführt werden. Im Januar 1997 stimmte schließlich das Europäische Parlament zu. Am 15.5.1997 trat die Novel-Food-Verordnung schließlich in Kraft. Sie ist automatisch in allen Ländern bindend, muß also, im Gegensatz zu EG-Richtlinien, nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden.

2. Für welche Lebensmittel gilt die Verordnung ?
In der Novel-Food-Verordnung sind 2 Gruppen von Lebensmitteln erwähnt, die Gegenstand der Regelung sind:
  1. Lebensmittel, die bisher noch nicht in nennenswerten Mengen für den menschlichen Verzehr verwendet werden;
  2. Lebensmittel, die einer der folgenden Gruppen zuzuordnen sind:

    • Lebensmittel (und -zutaten), die genetisch veränderte Organismen enthalten oder aus ihnen bestehen oder aus diesen hergestellt wurden, diese aber nicht enthalten.
      Bsp.: Joghurt mit gentechnisch veränderten Starterkulturen oder Öl aus gentechnisch veränderter Ölsaat
    • Lebensmittel (und -zutaten) mit neuer oder gezielt veränderter primärer Molekularstruktur;
      Bsp.: Synthetische Fettersatzstoffe, wie das in den USA bereits zugelassene Olestra.
    • Lebensmittel (und -zutaten), die aus Mikroorganismen, Algen oder Pilzen bestehen (auch Isolate);
      Bsp.: Das Mykoprotein "Quorn", das in Großbritannien seit einiger Zeit als Fleischersatz verkauft wird oder Erzeugnisse aus Algen, die z.B. im asiatischen Raum weit verbreitet sind.
    • Lebensmittel (und -zutaten), die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen bzw. einem tierischem Organismus isoliert worden sind und nicht durch herkömmliche Vermehrungs-/Züchtungsmethoden gewonnen wurden;
      Bsp.: Geröstete Insektenlarven oder exotische Früchte.
    • Lebensmittel (und -zutaten), bei deren Herstellung ein nicht übliches Verfahren angewendet worden ist, das eine bedeutende Veränderung der Zusammensetzung oder der Struktur hervorgerufen hat.
      Bsp.: Lebensmittel die bspw. mit einem neuen Verfahren pasteurisiert oder sterilisiert worden sind, wobei der Nährwert oder die Menge unerwünschter Stoffe in dem Lebensmittel erheblich verändert worden sein muß.

      Ausnahmen sind Lebensmittelzusatzstoffe, Aromen und Extraktionsmittel die bereits in einer anderen EG Verordnung zugelassen worden sind.

Weiter werden "substantiell äquivalente" Lebensmittel, d.h. Lebensmittel, die dem echten Lebensmittel gleichwertig sind, erst gar nicht einem Prüfverfahren unterzogen. Das bedeutet, daß sie, wenn sie für im wesentlichen gleichwertig befunden werden, ohne Verzug in den Verkehr gebracht werden dürfen.
3. Das Genehmigungsverfahren
Sind Lebensmittel "substantiell nicht gleichwertig", müssen einem sie Genehmigungsverfahren unterzogen werden. Wer ein solches neues Lebensmittel in Verkehr bringen will, muß dies bei einer nationalen Prüfbehörde beantragen und dabei nachweisen, daß das Lebensmittel den Verbraucher nicht gefährdet, im Vergleich zu herkömmlichen Lebensmitteln keine Ernährungsmängel hervorruft und daß keine Täuschung vorliegt.

Kommt die Prüfungsbehörde zu dem Schluß, daß das Lebensmittel unbedenklich ist, erfolgt die nachgeschaltete Anerkennung durch die anderen Mitgliedstaaten. Bei Einwänden durch einen anderen Staat oder wenn sich die Behörde gegen die Zulassung ausspricht, wird das Lebensmittel einem weiteren EU-Gemeinschaftsverfahren unterzogen. Während des Genehmigungsverfahrens kann jeder Staat die Vermarktung in seinem Land einschränken oder verbieten, wenn wissenschaftlich begründete Vorbehalte gegen das Lebensmittel bestehen.

Für die Beurteilung der Erzeugnisse stehen den nationalen Behörden ab dem Tag der Antragstellung 3 Monate zur Verfügung. Die übrigen Mitgliedsstaaten können innerhalb von 60 Tagen einen Einwand vorbringen, damit das umfassende EU-Genehmigungsverfahren eingeleitet werden kann. Wird kein Einwand erhoben, ist das Lebensmittel zugelassen. Ist das Lebensmittel ersteinmal zugelassen, besteht die Möglichkeit des Einwandes nicht mehr.

4. Die Kennzeichnung
Substantiell nicht äquivalente Lebensmittel müssen gekennzeichnet sein. Neben den veränderten Merkmalen oder Eigenschaften muß auch das Herstellungsverfahren angegeben sein, mit dem die Veränderungen erzielt worden sind. Das Sojaöl aus der gentechnisch veränderten Sojabohne ist damit nicht kennzeichnungspflichtig, es sei denn, die Fettsäurezusammensetzung weicht über die Norm von der des normalen Öles ab.
Ein gentechnisch veränderter Organismus muß ebenfalls gekennzeichnet sein. So etwa die herbizidtolerante Kartoffel oder die Flavr-savr-Tomate.
Finden sich bestimmte Stoffe in Lebensmitteln, die dort normalerweise nicht zu finden sind, hat ebenfalls eine Kennzeichnung zu erfolgen. Dies hat vor allem für Allergiker Relevanz, die in der Tomate keine Gene aus dem Ei oder der Erdnuß (beides häufige Allergene!) erwarten, aber auch für bestimmte religiöse Gruppen, wie z.B. Moslems, die keine Gene vom Schwein in bestimmten Lebensmitteln tolerieren.
Wie nun tatsächlich gekennzeichnet wird, ist noch nicht geklärt.
5. Kritik
Der erste große Kritikpunkt an der aktuellen Verordnung ist schon bei den Einordnungskriterien zu finden: Ab wann ist ein Lebensmittel schon in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet? Eine Einigung scheint hier weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene in Sicht. Schwierig wird auch die Frage zu klären sein, ob denn nun gentechnisch veränderte Lebensmittel, die bereits zugelassen sind (z.B. die herbizidtolerante Sojabohne) noch unter die neue Verordnung fallen.

Die Möglichkeit "substantiell äquivalente Lebensmittel" sofort in den Verkehr zu bringen, erscheint einer Nachbesserung bedürftig. Bisher haben die entsprechenden Gremien die meisten Lebensmittel für "gleichwertig" befunden, was nach neuem Recht heißt: Kann sofort in den Verkehr gebracht werden!

Bereits zugelassene Lebensmittel, wie bspw. der in den USA vertriebene Fettersatzstoff Olestra, könnten nach heutigem Recht in die Ausnahmeregelung fallen und wären damit nicht mehr zulassungspflichtig.

Gentechnisch veränderte Enzyme, die als technische Hilfsstoffe (z.B. in Backmischungen) eingesetzt werden, sind bisher weder kennzeichnungs- noch genehmigungspflichtig.

Da bisher noch keine Regelung über die Kennzeichnung existiert, bleibt abzuwarten, ob der ahnungslose Verbraucher durch Slogans wie: "gentechnisch verbessert" oder "mit den modernen Mitteln der Biotechnologie hergestellt" irregeführt wird. Ein weiteres Manko ist in der Kennzeichnung von Mischungen genetisch veränderter und herkömmlicher Lebensmittel zu finden. Hier muß lediglich auf das "mögliche Vorhandensein genetisch veränderter Organismen" hingewiesen werden.

Darüber hinaus bestehen natürlich die Bedenken bezüglich der Gentechnologie nach wie vor: Welche weitreichenden Veränderungen bei Mensch und Umwelt ergeben sich dadurch, daß Pflanzen auf einmal Herbizide selbst produzieren können? Entstehen z.B. neue Eiweiße, womöglich mit allergenem Potential?

Resümee
Die Novel-Food-Verordnung bietet noch zu viel Spielraum für Interpretationen. Sie erscheint in vielen Punkten der Nachbesserung bedürftig. In der bisherigen Form ist die Möglichkeit, daß der Verbraucher in die Irre geführt wird, groß. Wer sicher gehen will, kauft künftig seine Lebensmittel in Bioläden, die im Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) organisiert sind. Diese Läden haben den Verzicht auf gentechnisch angebaute Lebensmittel erklärt. Aber auch der Kauf von (möglichst unverarbeiteten) in der Region angebauten Lebensmitteln ist schon ein guter Ansatz. Je weniger die Lebensmittel verarbeitet sind, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie ohne Gentechnik hergestellt worden sind.
 
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