Die Argumente der Bundesrepublik waren allerdings weniger gut gewählt. So erklärte sie, daß der geringere Alkoholgehalt eine gesundheitlichen Gefährdung darstelle, weil dieser zu einer leichteren Gewöhnung führen würde. Getränke mit einem höheren Weingeistgehalt hätten damit also eher einen abschreckenden Charakter. Der Europäische Gerichtshof entgegnete dazu, daß auf dem deutschen Markt sowieso genügend Getränke mit unterschiedlichem Alkoholgehalt angeboten werden würden. Außerdem würden Getränke mit hohem Alkoholgehalt üblicherweise nach belieben verdünnt werden.
Das zweite Argument gegen den französichen Likör, war das des "unlauteren
Wettbewerbs". Nach Meinung der Bundesrepublik hatten die Franzosen, durch
den niedrigeren Alkoholgehalt des "Cassis", auf dem Likörmarkt nämlich einen
entscheidenden Wetbewerbsvorteil, da der Weingeist, bedingt durch die
erheblichen steuerlichen Abgaben, bei weitem der teuerste Bestandteil des
Getränkes sei.
Nach Meinung der Bundesrepublik hätte dies bald dazu geführt, daß wegen der
steuerlichen Vorteile, immer geringere Grenzen für den Alkoholgehalt beantragt
und gebilligt worden wären. Der europäische Gerichtshof wies als Antwort auf
dieses Argument darauf hin, daß die Angabe des Alkoholgehaltes auf der
Verpackung eines jeden Erzeugnisses vorgeschrieben sei. Damit sei der
Käufer angemessen unterrichtet.
Die Klage der Bundesrepublik wurde abgewiesen und festgehalten, daß
"jedes in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestellte oder
rechtmäßig in Verkeht gebrachte Erzeugnis in einem anderen
Mitgliedsstaat verkehrsfähig!"
Diese Urteil wurde zum allgemein gültigen Prinzip in der Rechtsprechung der
EG. In der folgenden Zeit wurden viele ähnliche Urteile zu Lebensmitteln, die ein
Mitgliedsstaat der EG nicht auf dem eigenen Markt anbieten wollte gefällt. Alle
bezogen sich mehr oder weniger auf das "Cassis-Urteil".
Juristen sprechen deshalb auch von der Cassis-Formel.